Resilienz

oder wie wir es schaffen den Kopf über Wasser zu halten

 

Was ist eigentlich die viel zitierte Resilienz? Die wir haben sollen, aufbauen, trainieren in schwierigen Zeiten?

 

Der Begriff Resilienz stammt aus dem Englischen („resilience“) und beschreibt in technischen Kontexten die Eigenschaft von Werkstoffen nach starken Verformungen in die ursprüngliche Form zurückzufinden.

Diese Eigenschaft von Werkstoffen wurde auf den Menschen übertragen.

Resilienz bezeichnet nun in diesem Zusammenhang die Fähigkeit eines Menschen genau wie Werkstoffe nach schweren Verformungen, also zum Beispiel schwierigen Situationen oder Unglücken, wieder in die eigene ursprüngliche „Form“ zu kommen, sich also von diesen widrigen Umständen zu erholen und nicht zu „zerbrechen“ oder krank zu werden.

Die Eigenschaft der Resilienz lässt sich also nach dem britischen Professor Michael Rutter (2000) definieren also das Vermögen einer Person oder eines sozialen Systems (z.B. Familie), sich trotz schwieriger Lebensbedingungen auf sozial akzeptiertem Wege gut zu entwickeln. Oder in Kürze zusammengefasst bezeichnet Resilienz die psychische Widerstandskraft eines Menschen. Sie setzt sich aus verschiedenen Faktoren zusammen. Die Literatur beschreibt unterschiedlich viele, zwischen 6 - 8 werden meist genannt. Im Folgenden möchte ich 6 Resilienzfaktoren beispielhaft mithilfe der Erfahrungen aus meiner Coachingpraxis beschreiben, anschließend auf Möglichkeiten hinweisen, die eigene Resilienz in den Blick zu nehmen, und auch auf "Risiken und Nebenwirkungen" hinweisen.

 

Akzeptanz - „ich kann es annehmen“

Frau B. kommt mit dem Anliegen zu mir, über ihre schwer demenzkranke Mutter zu sprechen. In den ersten Sitzungen geht es immer wieder darum, dass sie selber schwer akzeptieren kann, dass sie dieser Belastung so nicht mehr gewachsen ist. Doch dann bricht ein „Ich kann nicht mehr“ aus ihr heraus. Sie schämt sich einerseits, andererseits wirkt sie gelöster. In dem Moment, wo sie selber akzeptieren kann, dass es ok ist, „nicht mehr zu können“, geht es einen Schritt weiter. Gerade Frauen erleben aus meiner Sicht diese positive Einrahmung („Was für eine Stärke steckt darin, dass Sie es akzeptieren können – da braucht es Mut – auch wenn ich deutlich wahrnehmen kann, wie schwer es Ihnen fällt und dass etwas in Ihnen damit ganz unzufrieden ist...“) als sehr überraschenden, hilfreichen und stärkenden Perspektivwechsel.

 

Optimismus & Zukunftsorientierung – „ich habe eine Vision“

Nach einer betriebsbedingten Kündigung kommt Herr M., ein Ingenieur aus einem Großkonzern, ins Bewerbungscoaching. Er ist voller Wut und Trauer, seine Gefühle richten sich hauptsächlich auf den Arbeitgeber. Wir bearbeiten diese Teile mit dem Fokus auf sein Empfinden. Erst dann können wir auf das Bewerbungsthema schauen: Anschreiben, Lebenslauf, Bewerbungsstrategie – auf mich wirkt Herr M. dabei etwas unbeteiligt, so als würde er sich nicht für eine neue Stelle engagieren können, obwohl er sie will und braucht. Ich biete ihm für die nächste Sitzung eine Visionsübung an, um sich ein positives Bild von der Zukunft zu machen. Ich lege Material wie unterschiedliche Zeitschriften, Klebstoff und Zeichenblock bereit. Die entstandene Collage bietet ein buntes, bewegtes und positives Bild seiner beruflichen Zukunft und wird ein visueller Begleiter bei den weiteren Schritten. Herr M. findet eine für ihn passende Stelle als Ingenieur im Umweltbereich. Obwohl er einen Branchenwechsel vollzogen hat, konnte er im Vorstellungsgespräch mit seiner Klarheit über seine berufliche Zukunft überzeugen.

 

Selbstwirksamkeit & Lösungsorientierung – „ich kann handeln“

Frau L. ist als Kunstpädagogin angestellt tätig, ihre kreative Arbeit mit Kindern und Jugendlichen erfüllt sie. Doch die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich zunehmend, sie hat das Gefühl, dass wichtige Werte nicht mehr zählen, und beklagt einen „Ausverkauf“. Ich zeichne die Rahmenbedingungen auf und bitte sie, die Mitte des Bildes zu füllen. Ich beginne jeden Satz bewusst mit „Was können Sie innerhalb dieses Rahmens gestalten, tun, verändern...?“ Wir erarbeiten einen Handlungsraum, der ihr deutlich macht, wo sie eben nicht nur ausgeliefert ist und ein „Opfer“ der Umstände, der Kulturförderung und ihrer Amtsleiterin ist. Ich würdige zwischendurch immer wieder ihren Schmerz über den Werteverlust. Im weiteren Verlauf unserer Gespräche entsteht die Idee, dass sie Stunden reduziert und sich eine freiberufliche Nebentätigkeit aufbaut. Wir erarbeiten einen Zeit- und Handlungsplan. Ich bitte sie, die besprochenen Koordinaten als Plakat zu gestalten, was ihr als kreativer Mensch viel Spaß macht. Wir verabreden Zwischenschritte und kommen in eine sehr konkrete, schwungvolle Arbeit. Ich erlebe Frau L. jetzt völlig anders als am Anfang: Ihre Körperhaltung ist aufgerichteter, die Stimme lauter, sie lächelt viel „in sich hinein“, so als ob sie eine etwas andere Verbindung zu sich selber bekommen hat.

 

Günstiger Attributionsstil – „ich kann mich realistisch und anerkennend sehen“

Frau l. leitet eine Physiotherapeutische Praxis und führt ein 10-köpfiges Team. Sie kommt zu mir, weil sie sich Begleitung gerade in Führungsfragen wünscht. Ein Ereignis drückt sie sehr: Eine Mitarbeiterin ist dauerhaft psychisch erkrankt und wird voraussichtlich nicht mehr zurückkommen. Ein wichtiger Schritt ist, herauszuarbeiten, wie Frau I. Dinge auf sich bezieht, wie viel Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme sie aus ihrem Elternhaus mitbringt. Schon früh fühlte sie sich für die jüngeren Geschwister verantwortlich, um ihre Mutter zu entlasten. Die Botschaften „Ich bin verantwortlich für...“ und „Ich habe Schuld an...“ sind tief in ihrem Selbstkonzept verankert. Sie hat einen „ungünstigen Attributionsstil“, da sie ein Übermaß an Ereignissen auf sich bezieht. Wir erarbeiten ein realistisches, günstiges Bild einer positiv verantwortlichen Führungskraft: Was sind die menschlichen und formalen Anforderungen, die Frau I. für anstrebenswert hält? Ich schlage zusätzlich ein “Erfolgstagebuch“ vor und erläutere ihr, dass es manchmal sein kann, dass der Anteil, der sich übermäßig verantwortlich und schuldig fühlt, auch verhindern kann, dass sie kleine Erfolgsschritte auf sich bezieht. Oft sind es dann „Glück“, „Zufall“ oder „die Anderen“, die einen Zustand verbessert haben. Sie nickt bei meiner Schilderung heftig und will die Idee gern ausprobieren, zu notieren, welche Stärken und Kompetenzen sie selber beigetragen hat. In der nächsten Sitzung frage ich sie nach den Notizen. Sichtlich unangenehm berührt schlägt sie eine leere Kladde auf, es sei ihr nichts eingefallen. Ich bitte sie zu erzählen. Sie berichtet von der letzten Teamsitzung und dass alle die Atmosphäre so gut fanden und lobt ausgiebig ihre Mitarbeiterinnen. Sehr bewusst frage ich sie „Und was haben Sie dazu bei getragen?“ und übersetze alle Nennungen wie zum Beispiel „Naja ich habe eine Einladung vermailt und Kekse besorgt“ in persönliche positive Eigenschaften „Sie haben es gut strukturiert und waren fürsorglich – würden Sie gut strukturiert und fürsorglich als Stärke bezeichnen?“ Sie schaut mich erstaunt an und sagt lächelnd „Ja so kann man es auch nennen, stimmt...“ Sie schreibt die Stärken in ihr Erfolgstagebuch, ein Anfang ist gemacht.

 

Netzwerkorientierung – „ich kann andere um Hilfe bitten“

Herr D. plant sich mit einer Eventagentur selbstständig zu machen. Er ist ein echter „Macher“ und nimmt die Dinge gern in die Hand. Beim Schreiben des Businessplanes kommt er beim Punkt Marktanalyse ins Stocken. Sein Schwung gerät ins Wanken, er formuliert Zweifel, ob er es überhaupt schaffen könne. Ich biete ihm das Bild einer Waage an und erkläre, dass ich auf der einen Seite seine starke Energie und Handlungskompetenz sehe – dass die Waagschale auf der anderen Seite jedoch etwas mehr Gewicht gebrauchen könnte. Er ist neugierig zu hören, wie ich diese Seite nenne. Ich sage „Ich kann Hilfe von anderen annehmen“. Sein Gesicht verzieht sich fast ungläubig und er lässt die Worte wirken. Ihm wird deutlich, dass sein Bild von sich beinhaltet „alles aus eigener Kraft zu schaffen“. Wir besprechen Möglichkeiten, wie er sich stärker vernetzen kann und wie er sich in einem branchenübergreifenden Netzwerk Tipps holen kann, die es ihm erleichtern eine Marktanalyse zu erstellen.

 

Glaube/ Spiritualität – „ich bin Teil von etwas Größerem“

Frau O. hat eine persönliche Krise, ausgelöst durch eine Trennung, berufliche Probleme und starke Wechseljahrsbeschwerden. Die geschilderten Ereignisse drücken sie nieder und es fällt ihr schwer Kraft für den Alltag zu mobilisieren. Ich habe die Resilienzfaktoren, so wie ich sie hier in diesem Artikel mit Überschriften beschrieben habe, als Karten ausgedruckt. Ich bitte sie aufzustehen und zu der Karte zu gehen, die sie am meisten anspricht. Sie entscheidet sich für Glaube. Ich bitte sie mir von dieser Ressource zu erzählen. Sie ist selber erstaunt, da sie sich schon vor Jahren aus Protest gegen ihre religiös-konservativen Eltern aus kirchlichen Zusammenhängen verabschiedet hat. Wir arbeiten eine Sitzung intensiv an ihrem Glauben (der dadurch deutlich weniger mit einer bestimmten Glaubensrichtung und dem Elternhaus assoziiert wird) und entwickeln das Bild eines Baumes mit sehr tiefen und breiten Wurzeln. Ihr wird dadurch deutlicher, wie tief dieser Glaube in ihr  “verwurzelt“ ist. Sie hat das Gefühl hier einen Punkt gefunden zu haben, der sie in der Krise trägt und ihr Halt gibt.

 

 

Wie können Sie sich mit Ihren Resilienzfaktoren beschäftigen?

Nehmen Sie sich mindestens 30-60 Minuten Zeit, wählen Sie einen ruhigen Ort, machen Sie es sich bequem, legen Sie sich etwas zum Aufschreiben bereit. Gehen Sie gedanklich zu einem krisenhaften Ereignis in Ihrer Geschichte: eine Kündigung, Trennung... etwas, was Sie selber als schwierig erlebt, jedoch überwunden haben. Notieren Sie es. Beantworten Sie anschließend die Frage, was Sie getan haben, um die Krise zu meistern. Schreiben Sie den sechs Resilienzfaktoren Punkte zu, 0 für „gar nicht“ bis 10 für „sehr hoch ausgeprägt“. Diese Liste kann Ihnen deutlicher machen, wo Sie Stärken haben, zum Beipiel das Sie sehr gut im Handeln sind, im Plänemachen und in der Netzwerkorientierung. Weniger Punkte haben Sie vielleicht in Akzeptanz und Glaube. Ganz unten steht vielleicht der günstige Attributionsstil. Für zukünftige Krisen wissen Sie worauf Sie sich verlassen können. Und auch welche Faktoren Sie schon jetzt stärken können. Dabei ist es hilfreich sich mit sich selber zu beschäftigen, Tagebuch zu führen, Reflexionsgespräche zu führen, andere Perspektiven einzunehmen. Meditations- und Achtsamkeitsübungen stärken den Zugang zum inneren eigenen Erleben ebenso wie eine regelmäßige "innere Inventur".

 

"Risiken und Nebenwirkungen"

Erst mal erlebe ich es fast immer als positiv, wenn Menschen sich mit sich selber auseinandersetzen, etwas über sich und ihre wirksamen, stabilisierenden Faktoren erfahren. Gleichzeitig erfreut sich "Resilienztraining" gerade großer Beliebtheit. In Zeiten zunehmender Arbeitsverdichtung und -belastung werden immer mehr Menschen auch daran krank, haben einen "Burn-out". Psychische Belastungen sind der zweithäufigste Grund für Krankschreibung. Ist es also dann doch nur unser eigenes, individuelles Problem? Haben wir einfach nicht genug auf unsere Resilienz geachtet? Da wo das Thema Resilienz instrumentalisiert wird, um Menschen weiter funktionsfähig zu halten, ist Vorsicht geboten. Denn dann verkommt ein gutes Konzept zu einer weiteren Zutat im Selbstoptimierungssalat.