"Kannst du mich schon hören?"

14 Monate im Schleudergang. Die ersten Masken aus Stoff. Die ersten Seminare auf ZOOM. Gerade als ich zu jedem Outfit die passende Selbstgenähte hatte, durften sie im Schub bleiben. Nur noch OP- oder FFP2 Masken. Na meinetwegen! Hauptsache sicher! Auch die Seminarkekse blieben weiter im Schub, nur noch ZOOM, ein höhenverstellbarer Tisch wurde angeschafft, um an ganzen Seminartagen zu stehen, das Sitzen wurde zuviel, irgendwie wurde Vieles zuviel, obwohl Einiges doch weniger wurde. Die Zeit mit Corona war und ist anstrengend, weil wir aus allen Routinen herausgeschleudert wurden. Und schnell wieder eine Normalität im Ausnahmezustand gefunden haben: sich mit "Fuß-Gruß" zu begrüssen, wurde normal, sich mit Maske zu begegnen, ebenso. Schlangestehen, desinfizieren, Impftipps weitergeben, mit dem Handy irgendwas scannen: LUCA-APP (doofes Ding, bin durchschnittlich 14 Stunden überall gewesen, weil das ausloggen nicht klappt), Yoga am Bildschirm, Weintrinken mit Menschen aus Australien via Bildschirm, der erste Satz "kannst du mich schon hören"...irgendwie normal. Und irgendwie ja nicht, weil es ja die Folgen einer weltweiten Pandemie sind. Kann also nicht normal sein. Also würde die Seele, die Psyche und auch der Körper die ganze Zeit hin- und herwechseln zwischen "ist ok" und "ist es wirklich ok?" und "oh, das ist doch irgendwie anders" und... meine Hypothese ist, das es dieses ständige Absuchen im Hintergrund ist, die die Coronazeit unter anderem so anstrengend macht. So wie beim Computer die Hintergrundprogramme die meiste Energie verbrauchen. Wir bemerken davon gar nichts, doch es läuft immer mit. Und jetzt wieder ein Wechsel: zurück zur Normalität. Hilfe, nein, das geht mir zu schnell! So sehr ich mich freue, das die Zahlen sinken, so sehr ist etwas in mir in Hab-acht-Stellung. Vorsicht, nicht zu früh freuen... und gleichzeitig möchte ich doch keine Sozial-Phobikerin werden (was bei meinem Beruf tragisch wäre). Welche Folgen der Corona-Zeit möchte ich eigentlich behalten? Weniger Termine, weniger im Zug, weniger ist mehr... ja, das möchte ich gern dauerhaft etablieren. Und nicht wieder im gewohnten Hamsterrad weiterlaufen, in das Corona uns ein Stöckchen in die Speichen gesteckt hat und wir mit einem RUCK zum Halten kamen. Und das Halten teilweise als angenehm empfanden. Und auch wieder nicht, weil uns ja auch einiges fehlte. Live-Singen und Turnen und Treffen und vieles mehr. Menschen, die in Einsamkeit sterben mussten, weil niemand bei ihnen sein konnte. In den Heimen gingen die alten Menschen teilweise ein wie die die Blumen, denen das Sonnenlicht fehlt. Und das Pflegepersonal konnte taschenlampengleich soviel leuchten wie es wollte, es reichte eben nicht. Und nun ist wieder viel Sonne da und Wärme und auch Furcht, das es zu schnell ist und nicht von Dauer.

Lasst uns langsam gehen und achtsam sein für uns und andere, genau spüren und prüfen, was wir mitnehmen werden aus dieser so besonderen Zeit. Finden wir zu unserem eignen Tempo. Hören wir auf unsere Bedürfnisse und nehmen sie ernst. Das ginge ja auch dauerhaft ohne eine Virusbedrohung, oder? Und ab und zu herzhaft lachen und uns freuen, das wir noch da sind. Und traurig sein, weil es Viele nicht mehr sind. Und mitfühlen für die, die Wunden davon getragen haben durch Homeoffice und Streit mit Kindern und Enge und Stress. Lasst uns darüber sprechen wie es uns geht, denn "was wir nicht ausdrücken, drückt sich ein". Einen leichten warmen Sommer wünsche ich uns und einen Herbst, in dem wir merken, das wir gewachsen sind irgendwie und auch etwas ernten können.