Wandlungsschmerz

Grad jetzt, hier, heute, während ich dies schreibe, kann ich ihn fühlen, spüren, riechen: den Wandlungsschmerz. Die Natur richtet sich auf die nächste Jahreszeit ein. Der Sommer ist so gut wie vorbei. Auch der September wird uns bestimmt noch warme Tage bringen, Sonne, vielleicht werden wir auch nochmal unter den Temperaturen in den Räumen stöhnen und ein bißchen jammern. Doch morgens spüren wir es und abends. Die Luft ist anders, die Spinnweben funkeln voller Tautropfen. Der Herbst kommt. Und dann gibt es das Dazwischen. "Spätsommer", "goldener Herbst", nicht mehr das eine, noch nicht ganz das andere. Eine Zwischen-Zeit, ein Übergang, eine Wandlung. Darin liegt Abschied und Trauer und freudvolle Erinnerung an all' die leichten, heißen Tage. Und die Freude auf das Neue. Das was kommt. Ernetezeit.

 

Mich erfüllt dieser Übergang mit dem, was in Japan vielleicht dem Zustand des "Mono no aware" entspricht: „Das Pathos der Dinge“ oder auch „das Herzzerreißende der Dinge“ (物の哀れ, mono no aware) bezeichnet jenes Gefühl von Traurigkeit, das der Vergänglichkeit der Dinge nachhängt und sich doch damit abfindet. Ein Mitgefühl mit allen Dingen und deren unabdingbarem Ende. Auch in Portugal gibt es dafür einen Begriff, "Saudade": Das Wort steht für das nostalgische Gefühl, etwas Geliebtes verloren zu haben, und drückt oft das Unglück und das unterdrückte Wissen aus, die Sehnsucht nach dem Verlorenen niemals stillen zu können, da es wohl nicht wiederkehren wird.

 

Eine Melancholie, die daraus geboren ist, das es etwas sehr Schönes gibt oder gab, von dem wir uns verabschieden werden. Den Sommer. Die Jugend. Die berufliche Tätigkeit. Die Zweisamkeit. Was auch immer es ist, schon im Erleben ahnen wir, das es Wandlung gibt. Das wir Sommertage, Urlaubstage, Jugendzeit, Erwerbstätigkeit, Beziehungszeit, was auch immer wir am liebsten SO WIE ES JETZT IST behalten würden, nicht behalten können. Und das es dieses genau deshalb so wertvoll macht. Weil es vergehen wird.

 

Der Urvater des personzentrierten Ansatzes, Carl Rogers, hat es für mich in diesem Zitat so passend beschrieben:

“Ich weiß, dass ich, wenn ich stabil, umsichtig und statisch wäre, im Tod leben würde. Daher akzeptiere ich die Verwirrung, die Unsicherheit, die Angst und die emotionalen Höhen und Tiefen. Denn das ist der Preis, den ich für ein lebendiges, verwirrendes und aufregendes Leben zu zahlen bereit bin."

 

Leben heißt Wandlung, Wachstum und Vergehen. Und immer wieder stecken darin unsere Entwicklungsaufgaben. Zum Beispiel die Balance finden zwischen Dauer und Bewahren und dem Loslassen und Wechseln. Und diese Zeit dazwischen aushalten lernen. Ich lasse los und stehe kurz mit leeren Händen da, bevor ich das Neue greife.

Vielleicht diesen Zustand ein bißchen schön finden können. Diese schwebenden Momente des Nicht-Wissens, was kommt. Ein Vakuum, das wir vielleicht nicht sofort füllen. Sondern rausgehen und unser Gesicht in die gerade noch scheinende Sonne halten.